video sculpture, loop, 00:00:42 min, colour, no sound, variable projection size or variable monitor, 2011/12
Die drei Videofragmente SUN, LAND und DIAGONAL bestehen aus gelooptem und in sich selbst überlagertem Bildmaterial. Die Videobilder muten fotografisch an, da es keine Kamerabewegung gibt. In ihnen bewegt sich jeweils ein Bilddelement. Man erkennt eine bekannte Bildwelt, die wiederum kollektive Erinnerungsbilder und Erzählungen hervorruft.
Das Bildmaterial editierte ich aus einer Histotainment-Sendung. Durch ihre Vereinzelung im Raum werden diese Bilder einer ganzheitlichen, linearen Erzählung der Vergangenheit entzogen. Die Aufspaltung des filmischen Materials in fotografisch anmutende Einzelteile macht seine Realität deutlich sichtbar: Das Material wird zum Bild.
Yvon Chabrowski, Juni 2012
Auzug aus der Eröffnungrede von Anna Till anlässlich der Eröffnung im Heidelberger Kunstverein:
Die Ausstellung trägt den Titel Das Aufblättern und zeigt Arbeiten der Künstlerinnen Yvon Chabrowski und Sandra Schäfer. Beide Positionen setzen sich mit der Konstruktion von Geschichte auseinander und stellen der Utopie einer linearen Geschichtsschreibung ihre eigene Bildsprache gegenüber. (…) Wenn Sie die Treppen zum Studio hinuntergehen sehen sie Fotoarbeiten der Künstlerin Yvon Chabrowski. Die wie Landschaften anmutenden Bilder mit dem Titel FOTOEMULSION AUF BARYTPAPIER, VERGRÖßERT I-V sind erst bei der chemischen Reaktion während der Fotoentwicklung entstanden – es hat nie eine wirkliche Landschaft gegeben, die auf das Negativ einer Kamera gebannt werden konnte, sondern die Landschaft wurde von der Künstlerin im Fotolabor selbst erzeugt. In der fünfteiligen Serie fordert Yvon Chabrowski uns zum Misstrauen gegenüber den Bildern auf und führt dies in den Installationsfragmenten SUN, LAND, DIAGONAL und EYEWITNESS fort.
Wenn es bei Sandra Schäfer die Frage nach dem Anfang und Ende einer Re- volution ist, ist es bei Yvon Chabrowski die Frage nach dem Anfang und Ende eines Bildes. Sie begibt sich auf die Suche nach den Ursprüngen der Bilder, die sich im Kreislauf der Medienverarbeitung im visuellen Gedächtnis ihrer Betrachter festgesetzt haben. Ausgangspunkt dafür das Format der Histotainment-Sendung. Aus der Sendung löst sie einzelne Fragmente heraus und bringt die bewegten Filmbilder zum Stillstand. Abgetrennt von ihrem vorherigen Kontext geben sie sich als romantische Versatzstücke der historischen Dokumentation zu erkennen und machen die Inszenierung deutscher Nachkriegsgeschichte sichtbar. Das herausgelöste Motiv in der Arbeit DIAGONAL scheint unmittelbar an Das Eismeer von Caspar David Friedrich entlehnt zu sein.
In der Video-Skulptur EYEWITNESS bleiben nach der Bearbeitung von einem typischen Zeitzeugengespräch nur noch der farbige Hintergrund und die unterlegte Musik. Das eigentlich wichtige – das gesprochene Wort der sogenannten Zeitzeugen – fehlt. Auch hier konzentriert sich Yvon Chabrowski auf die Elemente des Histotainment-Films, die zur Emotionalisierung und Dramatisierung der Erzählung beitragen. Indem sie den Film in seine Einzelteile zerlegt, ihn nacheinander aufblättert verweist sie auf die Konstruiertheit der Bilder und somit die Konstruktion von Geschichte.